Rechtliche Grundlagen und Entwicklung der externen Evaluation in Südtirol

 

 

Das Evaluationsmodell in Südtirol fußt auf dem Landesgesetz 12/2000 („Autonomiegesetz“), das in den Artikeln 16 und 17 die interne und die externe Evaluation vorsieht. Das Ziel ist die Sicherung und Steigerung der Qualität der Dienstleistung des Schulsystems und der einzelnen Schulen. Die den Schulen zuerkannte weitreichende Gestaltungsfreiheit, die sich allerdings nicht auf die Rekrutierung des Personals bezieht, erfordert als Gegengewicht eine Kontrolle im weitesten Sinn, die durch ein Evaluationssystem gewährleistet werden soll.

Der internen Evaluation wird dabei eindeutig der Vorzug gegeben, sie steht über der externen, wobei letztere  jedoch auch weitere Aufgaben hat, die man in anderen Ländern nicht unbedingt mit externer Evaluation verbindet. Zu Beginn der Arbeit der Evaluationsstelle hat es mit den ausländischen Beratern (aus Deutschland) denn auch stets Begriffsverwirrungen gegeben, zumal die Berater unter externer Evaluation zunächst fast ausschließlich Schul- und Unterrichtsinspektionen verstanden, wo hingegen die Südtiroler Evaluatoren unter den Schulbesuchen nur einen speziellen Aspekt der externen Evaluation sahen, einen nicht einmal unabdingbaren.

 

Errichtung der „Dienststelle“

Das Landesgesetz verwies auf eine damals noch zu verabschiedende Durchführungsverordnung, die dann im Frühjahr 2003 herauskam. Die Durchführungsverordnung regelte für jede Sprachgruppe die Errichtung je eines Landesbeirates für Evaluation und zugeordneter „Dienststellen“ (die mit diesem nur in der deutschen Übersetzung verwendeten Begriff gedachte hierarchisch- bürokratische Unterordnung führte bald zu Problemen mit der Arbeit an den Schulen und dem Selbstverständnis der Evaluatoren und wurde in der Praxis durch das neutralere „Evaluationsstelle“ ersetzt, wenn auch „Dienststelle“ in der offiziellen Ämterordnung da und dort noch weiterhin auftauchte).

Die Durchführungsverordnung beschrieb die Aufgaben des Landesbeirates und der Evaluationsstellen. In einer ersten Fassung, die zwei Jahre lang gültig war, waren Schulbesuche oder gar Unterrichtsinspektionen überhaupt nicht vorgesehen.

Eine  neuere Durchführungsverordnung zur Schulevaluation ist im Oktober 2006 verabschiedet worden und wurde mit dem Dekret des Landeshauptmanns Nr. 3 vom 8. Jänner 2007 rechtskräftig. Sie ist eine Abänderung der Durchführungsverordnung vom 4. Juni 2003, Nr. 22 und sieht nun auch Schulbesuche vor, denen sie einen eigenen Absatz widmet. Die Abänderung der ersten Durchführungsverordnung wurde von den drei Landesbeiräten beantragt, woraufhin in zähen Verhandlungen ein annehmbares Evaluationskonzept erarbeitet wurde. Auf dem Wege der Verabschiedung sind jedoch vor allem durch das PI  in wenig transparenter Weise so viele Abänderungen eingeflossen, dass die dann verabschiedete Durchführungsverordnung mit den ursprünglichen Intentionen nur mehr wenig zu tun hatte.

 

Trentiner Modell

Der deutsche Landesbeirat nahm seine effektive Arbeit im Frühjahr 2004 auf und formulierte in mehreren  Sitzungen unter der Federführung des damaligen Direktors des Pädagogischen Instituts, der auch der stellvertretende Vorsitzende des Landesbeirates war, ein Gesamtkonzept zur externen Evaluation[1], das sich stark an das seit längerer Zeit in der autonomen Provinz Trient etablierte Modell anlehnte. Dort betrieb man recht erfolgreich externe Evaluation, indem man sich intensiv mit lokalrelevanten Stichproben an internationalen Untersuchungen beteiligte und auch selbst Leistungserhebungen zu den Kernfächern an den Schulen durchführte. Das Trentiner Modell sah keine Schulbesuche vor.

Vom Trentiner Modell wurden in das deutsche Südtiroler Gesamtkonzept übernommen:

-        die Teilnahme an internationalen Großuntersuchungen (für Südtirol vornehmlich PISA, die Trentiner nehmen regelmäßig auch an TIMSS teil)

-        fokussierte Evaluationen zu bestimmten Themen in Südtirol

-        die Teilnahme an gesamtstaatlichen Leistungserhebungen

In das Gesamtkonzept sind auch Elemente der österreichischen Schulevaluationsforschung eingeflossen. Der Universitätsprofessor für Schulpädagogik und Leiter des  Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck Prof. Michael Schratz war Mitglied des Landesbeirates. Die Evaluationsforscher Prof. H. Altrichter und Prof. P. Posch haben in verschiedenen Funktionen über längere Zeit mit dem Pädagogischen Institut in Südtirol zusammengearbeitet. So lehnen sich die für das Grundgerüst der Südtiroler Schulevaluation festgelegten Qualitätsbereiche stark an die Inhalte des Projekts Q. I. S. (Qualität in Schulen) des Bundesministeriums für Unterricht , Kunst und Kultur an.

 

Rechtenthaler Gespräche

Zu jener Zeit (Frühjahr 2004) stand bei den „Rechtenthaler Gesprächen“ in Tramin das Thema Evaluation im Brennpunkt. Die Rechtenthaler Gespräche werden vom Pädagogischen Institut organisiert und sind eine alle zwei Jahre wiederkehrende Veranstaltung an der Fortbildungsakademie Schloss Rechtenthal in Tramin, wo jeweils ein bildungspolitisches Thema beleuchtet wird. Dazu werden Experten aus dem In- und vor allem aus dem Ausland eingeladen.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand im Frühjahr 2004 Armin Lohmann mit seinem „Modell Niedersachsen“, das damals noch die Rohform des eine zeitlang in Niedersachsen flächendeckend durchgeführten Schulinspektionsmodells war. Für die an den Rechtenthaler Gesprächen teilnehmenden, in Sachen Evaluation unvoreingenommenen Mitglieder des Landesbeirates, die ja gerade erst die Arbeit aufgenommen hatten, waren die Ausführungen Lohmanns so sehr überzeugend, dass sie dessen Konzept  gleich in das Südtiroler Gesamtkonzept einfließen ließen. In den Köpfen der Mitglieder des Landesbeirates prägte sich das Modell Niedersachsen, das dort von den Niederlanden übernommen worden war, so stark ein, dass man in Hinkunft die gesamte externe Evaluation auf die Schulbesuche reduzieren wollte, was zu Schwierigkeiten in der Kommunikation mit der Evaluationsstelle führte, die sich an das Gesetz und an das Gesamtkonzept in seiner integralen Form gebunden fühlte.

Die ein Jahr später eingesetzte italienische Evaluationsstelle in Südtirol verzichtete völlig auf die Evaluation der Einzelschule (obwohl in einer späteren Durchführungsverordnung vorgesehen) und beschränkte sich auf Aufgaben aus der pädagogischen Feldforschung. (Es ging hauptsächlich um die sprachliche Entwicklung in Prüfungsarbeiten von den Sechziger Jahren herauf  bis heute, die die italienischen Kollegen zusammen mit der Uni Bozen und der Uni Roma III durchführten.)

Im Gegensatz  zu anderen Ländern in Europa, in denen sich ein Evaluationssystem bereits etabliert hatte, schien das Südtiroler System in der deutschen Schule gleich zu Anfang überfrachtet, insbesondere wenn man an den Personalstand denkt, als über weite Zeiträume, besonders in den ersten drei Jahren nur drei Personen an der Evaluationsstelle wirkten. Die konkreten Aufgaben bestanden darin, einen Qualitätsrahmen zu entwickeln und das zugehörige Instrumentarium zu erstellen, gleichzeitig mit den ersten freiwilligen Schulen zu beginnen, wobei unter Schulen bei uns im Pflichtschulbereich und in geringerem Ausmaß  auch im Sekundarschulbereich Schulsprengel zu verstehen sind, das sind Bündelungen von manchmal auch bis zu 11 weit auseinander liegenden Schulen unterschiedlicher Stufen (Grund- und Mittelschulen) zu einer Direktion. Nebenbei lief die Aufbereitung von PISA 2003 und die gesamte Vorbereitung und Ausbringung zuerst des Feldtestes und dann von PISA 2006 selbst, was in zwei aufeinander folgenden Jahren (2005 und 2006) über Monate den vollen Einsatz der Evaluationsstelle erforderte. Zur selben Zeit waren auch die Erhebungen und Tests des INValSI (Italienische Nationalagentur für Schulevaluationen) zu betreuen. In Südtirol (wie im übrigen Italien) war gerade eine Schulreform im Gange („Moratti-Reform“), die von der Evaluationsstelle in zwei Phasen über zwei Jahre lang mit Erhebungsbögen und einer großen Anzahl an Besuchen vor Ort begleitet wurde. Die Ergebnisse der ersten Phase wurden in Buchform veröffentlicht und auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Die Ergebnisse der zweiten Phase wurden vom Schulamt zurückgehalten und die Veröffentlichung untersagt. Dies möglicherweise aufgrund von Kritiken von Seiten von Lehrpersonen, Direktoren und Eltern an der Form der Umsetzung der Moratti-Reform  durch das Schulamt, die im Manuskript wiedergegeben worden sind.

 

Inspektion sämtlicher Schulen

Im Laufe der achtjährigen Tätigkeit hat die Evaluationsstelle sämtliche deutschen Schulen Südtirols mit allen Schulstellen besucht und bewertet. Alle Schulen bis auf zwei erhielten die entsprechende Rückmeldung. Die beiden Gymnasien, welche keine  Rückmeldung erhielten, sind Gymnasien mit Landesschwerpunkt Musik. Die Evaluationsstelle bemängelte in diesen beiden Berichten die Handhabung der musikalischen Ausbildung von Seiten des Landes und des Schulamtes. Insbesondere ging es dabei um die Rekrutierung der Lehrpersonen, wobei die Musiklehrer/innen mit Ausbildung und Lehrbefähigung gegenüber denen ohne rechtlich gültiges Studium eindeutig auf illegale Weise benachteiligt wurden. Aufgrund der in den Berichten geäußerten diesbezüglichen Kritik wurde die Rückmeldung an die Schulen von Seiten des Landes unterbunden.

Ein weiterer Konfliktpunkt der Evaluationsstelle mit dem Land und dem Schulamt war die Kritik an der Lehrerausbildung an der Universität Bozen/Brixen. Die Evaluationsstelle war der Meinung, die Qualität der Lehre an der Uni sei nicht weiter tragbar und könne nicht als zukunftweisendes Modell für die Lehrerausbildung gelten, zumal die „Professoren“ dort teilweise selber keinen Studientitel aufweisen.

 

Einige weitere Tätigkeiten der Evaluationsstelle in den Jahren von 2004 bis 2012:

 

-        Erstellung eines Berichts in Buchform zum Auslands- und Zweitsprachenjahr an der Oberschule

-        Untersuchung zu den Maturanoten

-        Einführung und jährliche Ausbringung der Kompetenztests zusammen mit der Uni Jena

-        Untersuchung zu der Pflege des Mitarbeitergesprächs im Kindergarten

-        Sportstudie

-        Studie über die Problematik der Unterrichtsbeobachtungen, veröffentlicht in der Österreichischen Pädagogischen Zeitschrift „Erziehung & Unterricht“, 9-10 / 2008

-        Vorstellung von Projekten auf dem internationalen erziehungswissenschaftlichen Kongress in Samos im Jahr 2010 und im Jahr 2011

-        Veranstaltung eines Kongresses zur externen Evaluation in Zusammenarbeit mit der DeGeVal

 

 

Im Jahre 2011 wurde der Landesbeirat de facto stillgelegt (er wurde vom damaligen Präsidenten Meraner nicht mehr einberufen). Im Herbst 2012 wurde die Evaluationsstelle in Erwartung neuer gesetzlicher Bestimmungen aufgelöst. Die neueren Bestimmungen können auf der Homepage der neuen Evaluationsstelle nachgelesen werden.

 

 



[1] Rudolf Meraner, Gesamtkonzept zur externen Evaluation in der deutschen Schule in Südtirol, Bozen, Juli 2004